• Allgemein

    Die Hoffnung stirbt zuletzt

    Das Leben schreibt ja stets die schönsten Geschichten. Aktuell neigt es dazu, mich in regelmäßigen Abständen zu verwundern. Ich gab jüngst, anlässlich des Weltkrebstages, ein Interview für eine christliche Nachrichtenagentur, in welchem es grob gesagt um Krebs und Psyche gehen sollte. Und obwohl das Themen sind, auf die ich mich nicht gesondert vorbereiten müsste (weil es mein Arbeitsalltag ist), fühlte ich mich nach dem 25minütigen Interview, das am Telefon stattfand, ratlos zurückgelassen. Denn mal abgesehen davon, dass die Journalistin es vorab offenbar nicht mal geschafft hatte, eine kurze Internet-Recherche zum Thema Psychoonkologie durchzuführen, war ich von ihrem Mangel an Kenntnissen der Gesprächsführung höchst verwundert. Besonders deutlich wurde dieser Mangel dadurch,…

  • Allgemein

    A drink improves everything

    Es sind verrückte Zeiten, in denen wir leben. Vermutlich ist der Begriff zu schwach und obendrein nicht spezifisch genug. “Verrückt” ist ja auch eine feucht-fröhliche Karnevalsparty, eine pastellfarbene Brille oder ein modischer neuer Hut. Zugleich möchte ich keine Anleihen bei Bertolt Brecht und seine “finsteren Zeiten” machen, denn die Finsternis die er in seinem Gedicht “An die Nachgeborenen” beschrieb, ist weiterhin unvorstellbar und wird derzeit oft genug von eben jenen Finsterlingen instrumentalisiert, die sich ins Herz der Dunkelheit zurückwünschen. Es könnte also besser heißen: Es sind tragische Zeiten, in denen wir leben. Denn das Dilemma zwischen menschlich so dringend benötigter Nähe und infektiologisch so dringend benötigtem Abstand ist nicht auflösbar.…

  • Frei assoziiert

    Messer und Schusswaffen

    Von den Ressourcen Ressourcen – jeder will sie, jeder braucht sie, den wenigsten sind sie bewusst. Und schon bei der Definition verläuft man sich entweder in tendentiell schwammig-spirituellen Worthülsen (“Ressourcen sind Kraftquellen”) oder in übergeneralisierten und hypertechnischen Termini: Die Wikipedia informiert uns, dass es sich bei Ressourcen um “jedes Potential […]” handle, “das die Verhaltensoptionen eines Systems erhöht und damit seine Lebens- und Problemlösefähigkeit verbessert“. Aha. Wie auch immer wir sie definieren: Ressourcen sind aus der therapeutischen Arbeit nicht mehr wegzudenken. Der psychoanalytischen Therapie hat man früher oft eine zu defizitorientierte Haltung vorgeworfen, doch das hat sich durch Einbezug der salutogenetischen Ansätze, der Resilienzforschung, der Achtsamkeit, der Körpertherapie, und gewiss…

  • Geschichten aus dem Kinderzimmer

    Vom Schmerz, die zweite Bindungsperson zu sein

    Abendritual mit Hindernissen Vertrauensvoll kuschelt sich mein zweijähriger Sohn in meinen Arm und lässt sich von mir die Gute-Nacht-Geschichte vorlesen. Eben noch haben wir getobt, jetzt sieht das Abendritual vor, dass ein bis acht Bücher gelesen werden, erst danach darf ich das Licht ausmachen. Normalerweise schläft er dann friedlich an mich geschmiegt ein. Normalerweise. Heute ist er aber erkältet. Er hustet und schnieft und fühlt sich wahrscheinlich so malad, wie wir Großen uns auch fühlen, wenn ein Erkältungsvirus uns erwischt. Deshalb ruft er heute Abend untröstlich nach seinem Papa, obwohl ich bei ihm bin. Er weint zornig und stößt mich von sich. Als ich es gerade schaffe, ihn wieder halbwegs…

  • Geschichten aus dem Krankenhaus

    Die Ausnahme von der Regel

    Von empathischen Studierenden und kommunikativen Totalausfällen Überwiegend ist es mir eine ausgesprochene Freude, an der Universität zu unterrichten. Es ist eine wunderbare Aufgabe, an der Ausbildung zukünftiger Ärzt*innen teilzuhaben und ihnen nicht nur Fachliches beizubringen, sondern auch einen kleinen Baustein zu dem beizutragen, was später ihre „ärztliche Gesamtpersönlichkeit“ ausmacht. Ihr Berufsethos. Ihre Einstellung zu Patient*innen. Ihr Wille zum lebenslangen Lernen. Am schönsten ist die Beobachtung, dass in den letzten Jahren eine ganze Menge junger Menschen an die Universität strömt, die – anders als viele meiner ehemaligen Kommiliton*innen, deren größtes berufliches Ziel der Kauf eines Porsche war – schon ganz viel Empathie und Menschlichkeit mitbringt. Und manchmal treiben mich die Studierenden…

  • Sprichwörtercheck

    Altklug

    Sprichwörtercheck #1 Manche Wörter unserer Sprache sind so absurd, dass ich oft zweimal drüber nachdenken muss, bevor ich verstehe, was möglicherweise gemeint sein könnte. Aktuell kam mir der Begriff “altklug” in den Sinn. Altklug, das ist verwandt mit anderen vom Aussterben bedrohten Wörtern wie “naseweis” oder “neunmalklug”. All diese Bezeichnungen tragen eine abfällige, sehr negative Konnotation. Eltern möchten jedenfalls nicht gerne über ihr Kind hören, dass es altklug sei. Warum eigentlich? Denn wenn an den Einzelkomponenten des Adjektivs – alt und klug – nichts verkehrt ist, wie kommt dann der negative Touch ins Kompositum? Der Duden als anerkannte Kornifere (sic!) auf dem Gebiet der Wörter definiert den Begriff “altklug” wie…

  • Geschichten aus dem Krankenhaus

    “Leichen pflastern den Weg eines jeden guten Arztes!”

    Es gibt Ereignisse im ärztlichen Berufsleben, die mensch nicht so leicht vergisst. Manchmal sind es intensive, berührende Begegnungen mit Patient*innen, die noch lange in der Erinnerung nachhallen. Manchmal bleiben vor allem die Erlebnisse im Gedächtnis haften, die mit den eigenen Fehlern zu tun haben (ja, auch Ärzt*innen machen Fehler, auch wenn das noch nicht bei allen so angekommen ist). Manchmal sind es aber auch Situationen in ethischen Grenzbereichen, die im “normalen Leben” eher nicht vorkommen. Und manchmal ist es eine Kombination aus all dem. Das ist die Story meiner Freundin Rosa*, die niemals “ihre” erste Tote vergessen wird, die sie als Jungassistentin auf einer internistischen Station zu beklagen hatte. Es…

  • Frei assoziiert

    Klopapier versus Kondome

    Es ist wahrscheinlich nur ein urbaner Mythos, den die Heute Show ins Spiel gebracht hat, aber er ist so gut, dass viele Menschen bereit waren, ihn zu glauben: Dass in Deutschlands Supermärkten während des ersten Lockdowns das Klopapier knapp wurde (wahr), in Frankreich hingegen der Wein und die Kondome ausgingen (vielleicht wahr). Der sicherheitsbewusste Germane, der vor allem dafür sorgt, dass die notwendigsten Prozesse reibungslos (Huch! Merkwürdiges Wort in diesem Zusammenhang!) laufen versus der französische Lebemann, der selbst im Angesicht der Krise gemeinsam mit seiner Holden nur l’amour im Kopfe hat. Ein Klischee also. Warum sind wir bereit es zu glauben? Die Sozialpsychologie erforscht solche Phänomene. Deshalb kann die Wissenschaft…

  • Frei assoziiert

    „In der Krise zeigt sich der Charakter“

    Von Verteilungskampf und Triage im Corona-Winter 2020/21 Von Helmut Schmidt ist dieser schöne Satz überliefert, den er im Rückblick auf sein Management der schweren Sturmflut in Hamburg 1962 gesagt haben soll: “In der Krise zeigt sich der Charakter.” Er wusste, wovon er sprach. Die letzten Monate waren eine ausgezeichnete Gelegenheit, um den Wahrheitsgehalt dieser Aussage hautnah zu erleben: im Spannungsfeld von generationsübergreifender Solidarität und abgrundtiefem Egoismus konnte man direkt oder indirekt sehr unterschiedliche menschliche Reaktionen auf die SARS-CoV2-Pandemie beobachten. Mir selbst ist jüngst etwas sehr Bemerkenswertes passiert, was mich frappiert und auch ein bisschen erschreckt hat. An Heiligabend bekam ich einen Anruf meiner Freundin Catherine, die eine hausärztliche Praxis führt…

  • Geschichten aus dem Kinderzimmer

    “Gestern habe ich Papa geheiratet”

    vom Ödipus-Komplex Die griechische Mythologie erzählt die Geschichte von Laios, dem König von Theben, und seiner Frau, Königin Iokaste, denen die eher unschöne Prophezeiung gemacht wird, dass ihr gerade geschlüpfter Sohn (Ödipus) seinen Vater töten und anschließend seine eigene Mutter heiraten werde. Um dem Schicksal zu entkommen, soll der bis dato vollkommen unschuldige königliche Nachwuchs darum prophylaktisch zum Sterben im Wald ausgesetzt werden. Da König*innen ihre dreckigen Geschäfte aber schon immer gern von anderen erledigen ließen, klappt das ebenso wenig wie einige hundert Jahre später die Nummer mit Schneewittchen: aus Menschlichkeit und Mitleid bringt der zum Kindsmörder erkorene Diener das Kind zum Königspaar in Korinth, einem offenbar ganz in der…