Geschichten aus dem Krankenhaus

Nein, ich bin keine Psychologin

Heute führe ich ein Gespräch mit Frau M. Wir reden 50 Minuten lang über ihre krebsbedingten Belastungen und wie sie damit umgehen könnte. Als es um ihre Sorgen vor der anstehenden Chemotherapie geht, gebe ich ihr kompetent Auskunft über die zu erwartenden Nebenwirkungen. Plötzlich klingelt ihr Telefon; ihr Ehemann ruft an.

Frau M. nimmt das Gespräch an (Warum eigentlich? Stoff für einen weiteren Artikel…) um mitzuteilen: „Schatz, ich kann gerade nicht. Die Psychologin ist da.“

Wenn es um die P-Fächer geht, herrscht relativ große Verwirrung in breiten Teilen der Bevölkerung (und leider auch unter den medical professionals). Auch nach mehrstündigen Gesprächen werde ich gerne als „Psychologin“ tituliert.

Dabei würde ich von mir niemals behaupten wollen, dass ich Psychologie studiert habe – dazu bin ich viel zu schlecht in Statistik, was (dem Hörensagen nach) eins der Schwerpunktfächer des Bachelorstudiengangs Psychologie sein soll.

Psychologin oder Ärztin? Psychotherapeutin! (Bild von ElisaRiva auf Pixabay)

Also nochmal ganz langsam:

Ich habe Medizin studiert und gleich mehrere Facharztweiterbildungen gemacht.

Meine korrekten Berufsbezeichnungen sind: Ärztin, Fachärztin, Internistin, (ärztliche) Psychotherapeutin, Psychoonkologin, Zauberhirn (gut, das war jetzt gelogen).

Um der Verwechslung zu entgehen, habe ich eine ausgefeilte Strategie entwickelt, die ich jedoch (offenkundig) noch verbessern muss:

  • Ich stelle mich vor mit den Worten: „Mein Name ist Dr. Zauberhirn. Ich bin eine Ärztin aus der Abteilung für Psychoonkologie.“ (Das „Ärztin“ sage ich meist mit bedeutungsschwerem Tonfall und Gesichtsausdruck).
  • Ich erzähle den Patient*innen oft: „In meinem ersten Leben war ich Internistin. Daher kann ich Ihnen gerne etwas über die Nebenwirkungen des Medikaments erzählen.“
  • Ich trage ein Namensschild, auf dem steht: „Dr. med. Zauberhirn, Fachärztin“.
  • Ich hinterlasse eine Visitenkarte, auf der mein Name und all meine Berufsbezeichnungen versammelt sind.

Leider ist das nur selten von Erfolg gekrönt.

Es fühlt sich ein bisschen an wie bei Austin Powers (nur andersrum), als Austin verzweifelt versucht, den Besitz einer Penispumpe abzustreiten, aber die Beweislast erdrückend scheint („Eine Quittung über eine Penispumpe, ausgestellt auf Austin Powers.“ – „Das ist nicht meine Penispumpe.“ – „Ein Buch „Ich und die Penispumpe“ geschrieben von Austin Powers.“).

Meine Visitenkarte muss noch eindeutiger werden.

Damit Du nicht auch diesen unverzeihbaren Fauxpas begehst, Deine ärztliche Psychotherapeutin als Psychologin zu bezeichnen, will ich nun Licht ins Dunkel bringen.

Wer macht denn alles Psychotherapie?

Wenn ein Mensch in Deutschland Psychotherapie benötigt, gibt es folgende Möglichkeiten der Behandlung:

  1. Fachärztin oder Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (Ausbildung: 6 Jahre Medizinstudium, 5 Jahre Facharztweiterbildung, mind. 2400 h Therapie, 150 h Selbsterfahrung, 240 h Theorie)
  2. Fachärztin oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (Ausbildung: 6 Jahre Medizinstudium, 5 Jahre Facharztweiterbildung, 240 h Therapie, 150 h Selbsterfahrung)
  3. Fachärztin oder Facharzt mit Zusatzweiterbildung Psychotherapie (Ausbildung: 6 Jahre Medizinstudium, 5 Jahre Facharztweiterbildung, zusätzliche Therapieausbildung, 240 h Therapie, 150 h Selbsterfahrung)
  4. Psychologische*r Psychotherapeutin (Ausbildung: 3 Jahre Bachelor Psychologie, 2 Jahre Master Psychologie, Therapieausbildung mit 600 h Theorie, 1800 h Praktikum, 600 h Therapie, 150 h Selbsterfahrung)

Aus dieser Übersicht wird ersichtlich, dass psychologische Psychotherapeut*innen und Fachärzt*innen für Psychosomatik ähnlich umfangreich in der Psychotherapie ausgebildet werden.

Psycholog*innen erhalten übrigens (anders als Ärzt*innen) ihre Approbation erst nach bestandener Psychotherapie-Prüfung. Erst dann dürfen sie selbstständig Patient*innen behandeln. „Die Psychologin“ ist also streng genommen immer falsch, sogar wenn eine Psychologische Psychotherapeutin vor Dir sitzt.

Aber Du weißt ja jetzt Bescheid und kannst am Telefon demnächst sagen: „Schatz, ich kann gerade nicht. Die Psychotherapeutin ist da.“

Halt!

Rufen jetzt die gewitzten Leser*innen, die schon die bekannte Suchmaschine mit dem „G“ angeschmissen haben.

Und was ist mit Heilpraktiker*innen?

Schwieriges Thema.

Seit 1993 gibt es das Heilpraktikergesetz, welches erlaubt, dass Heilpraktiker*innen beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie (Heilpraktiker*in für Psychotherapie) auch Psychotherapie ausüben dürfen. Sie erhalten aber keinen Eintrag ins Arztregister und nehmen nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die gesetzliche Krankenversicherung, viele Beihilfestellen und auch viele private Krankenkassen übernehmen die Therapiekosten nicht.

Ich will keine ganze Berufsgruppe pauschal abwerten. Erst neulich habe ich einen sehr kompetenten Heilpraktiker kennengelernt. Gewiss gibt es auch unter Heilpraktiker*innen welche, die ordentlich arbeiten.

Das Problem ist nur, dass Patient*innen nicht gut herausfinden können, ob und wer das tut. Menschen mit Approbation sind durch das Standesrecht dazu verpflichtet, nur Therapien anzubieten, deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist. Wenn Ärzt*innen Quatschtherapie machen, können sie dafür verklagt werden.

Heilpraktiker*innen genießen eine sogenannte Therapiefreiheit und bieten die Quatschtherapie (z. B. Geistheilung oder Lachyoga) oftmals neben der fundierten Behandlung (z. B. Phytotherapie oder Akupunktur) an, als wären sie gleichwertig.

In diesem Kontext kommt es häufig zu Kompetenzüberschreitungen durch Heilprakiker*innen, z.B. durch Einmischung in medizinisch indizierte, aber als „böse Schulmedizin“ diskreditierte Therapien. Hierdurch können u.U. Menschenleben gefährdet werden (z.B. wenn „schulmedizinische“ Psychopharmaka abgesetzt werden und Patient*innen dadurch suizidal werden).

Am überzeugendsten finde ich die verschiedenen Ausbildungsgänge:

Die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung „Heilpraktiker*in“ erfordert keine staatlich geregelte Ausbildung. An der Prüfung kann man auch ohne vorherige Ausbildung teilnehmen. 

Dem gegenüber steht die durchschnittlich 11jährige Studien- und Ausbildungszeit von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeut*innen (siehe oben).

Im „Münsteraner Memorandum Heilpraktiker“ heißt es dazu:

Gerade wegen der in Deutschland in nahezu allen Bereichen üblichen und erwartbar hohen Qualitätsstandards gehen Menschen hierzulande davon aus, dass solche Standards alle wichtigen Lebensbereiche regulieren – also auch die Gesundheitsversorgung durch Heilpraktiker. […] Es wäre undenkbar, jemandem die Steuerung eines Flugzeugs anzuvertrauen, dessen ganze Kompetenz in einem erfolgreich absolvierten Workshop über die Sage des Ikarus besteht.

Zudem stellt stellt die Heilpraktikerüberprüfung lediglich eine Unbedenklichkeitsprüfung ohne Notenskala dar und ist nicht mit einer Fachprüfung – wie beispielsweise einem staatlichen Examen – zu verwechseln.

Die Gesundheitsämter versichern sich in der Prüfung NICHT der fachlichen Kompetenz der Bewerber*innen, sondern schließen aus, dass Patient*innen Schaden zugefügt wird.

Auch wenn es wahrscheinlich auch in dieser Berufsgruppe Therapeut*innen gibt, die gut ausgebildet sind und wissenschaftlich fundiert arbeiten, würde ich davon abraten, Psychotherapie bei Heilpraktiker*innen zu machen.

Bild oben von: pexels auf Pixabay