Messer und Schusswaffen
Von den Ressourcen
Ressourcen – jeder will sie, jeder braucht sie, den wenigsten sind sie bewusst.
Und schon bei der Definition verläuft man sich entweder in tendentiell schwammig-spirituellen Worthülsen (“Ressourcen sind Kraftquellen”) oder in übergeneralisierten und hypertechnischen Termini: Die Wikipedia informiert uns, dass es sich bei Ressourcen um “jedes Potential […]” handle, “das die Verhaltensoptionen eines Systems erhöht und damit seine Lebens- und Problemlösefähigkeit verbessert“. Aha.
Wie auch immer wir sie definieren: Ressourcen sind aus der therapeutischen Arbeit nicht mehr wegzudenken. Der psychoanalytischen Therapie hat man früher oft eine zu defizitorientierte Haltung vorgeworfen, doch das hat sich durch Einbezug der salutogenetischen Ansätze, der Resilienzforschung, der Achtsamkeit, der Körpertherapie, und gewiss auch der systemischen Arbeitsweise grundlegend geändert.
Das gilt umso mehr in der Psychoonkologie, in der ich überwiegend supportiv arbeite. Denn auch wenn ich natürlich auch die neuralgischen Punkte im Leben betrachte, das Leid der Betroffenen ernstnehme und ihre gerechtfertigten Klagen annehme, so gibt es doch immer einen Punkt, an dem sich das Gespräch vom Leid zur Hoffnung wendet.
An diesem Punkt findet (wahrscheinlich sehr subliminal) die Erinnerung daran statt, dass wir in erster Linie Menschen (und nur in zweiter Linie Patient*innen) sind.
Für mich hat die Arbeit mit Ressourcen untrennbar mit der vielzitierten (und oftmals etwas überstrapazierten) “ganzheitlichen Sicht” auf die mir anvertrauten Menschen zu tun: Wenn ich die Stärken einer Person kenne, ist es mir möglich, mehr als professionelles Mitgefühl oder Fürsorge für die Person zu entwickeln. Ich als Behandlerin kann plötzlich staunen, bewundern, mich belehren lassen. Die Symmetrie der Beziehung wird kurzzeitig wieder hergestellt.
Für die Betroffenen gibt die Ressourcenaktivierung dadurch ein Stück Würde zurück, die zuvor automatisch durch die Kategorisierung als “Patient*in” verloren gegangen war.
Aus meiner bescheidenen Erfahrung weiß ich, dass (fast) jeder Mensch Ressourcen hat. Bei den meisten liegen diese im konventionellen Vieleck aus Partnerschaft, Familie, Freund*innen, (Enkel)-Kinder, ggf. Haustiere, Gartenarbeit und/oder Sport.
Bei anderen muss man mehr Zeit investieren, um ihre geheimen Kraftquellen zu entdecken, zumal die wenigsten wirklich bewusst wissen, woraus sie ihre Lebensenergie regenerieren. Und dennoch lohnt es sich, sich gemeinsam auf die Suche zu begeben: Manchmal ist es reine Geduldssache, manchmal intensive Beziehungsarbeit, manchmal ein bisschen detektivische Spurensuche, aber es ist immer ein großartiger Moment, wenn die Augen des Gegenübers plötzlich zu strahlen beginnen und ein inneres Licht zu leuchten beginnt. Dann schlägt mir die innere Therapeutin freudig auf die Schulter und beglückwünscht mich zu dieser wunderbaren Entdeckung. (Klingt ein bisschen so, als ob ich hier eine eigene Ressource für mich gefunden habe :-)).
Ich erinnere den jungen Mann, der allen Konzerten seiner Lieblingsband nachreiste. Ich kannte Menschen, die dem Lego-Fanclub angehörten und die die Altstadt von Castrop-Rauxel mit Legosteinen nachbauen konnten. Eine Patientin von mir war mit ihrer Square-Dance-Gruppe auf den großen Festivals im Süden der USA unterwegs. Eine andere sammelte alte Mofas aus der DDR und machte sie wieder flott. Dann gab es noch den Mann, der wunderschöne Emaille-Arbeiten selber herstellen konnte. Die Frau, die wie eine geborene Kräuterhexe jede Pflanze im Wald beim Vornamen kannte. Und die Familie, die regelmäßig in mittelalterliche Gewänder gekleidet auf Re-Enactment-Veranstaltungen ging.
Manchen sind ihre Interessen peinlich, weil ihnen an anderer Stelle (im sogenannten “echten Leben”) oft Unverständnis dafür begegnet ist.
Und manchmal wird es sogar ein bisschen absurd: So erreichte meine Kollegin eine Art klinikinternen Superstar-Status durch die Ressourcenarbeit mit einem Menschen, der sich selbst der Gruppe der “Prepper” zurechnete und üblicherweise hasstriefende Tiraden über Ausländer*innen und Geflüchtete von sich gab. Doch sogar dieser bedauernswerte Mensch hatte Ressourcen. (Spoiler: Der Hass war es nicht. Hass ist niemals eine Ressource, denn es verbessert die eigene Stimmung nicht besonders, sich geifernd über andere zu ecchauffieren.)
Seine Stimme wurde weich und seine Stimmung schwärmerisch, wenn er an seine umfangreiche Schusswaffen- und Messersammlung dachte; wenn er sich vorstellte, die Waffen zu reinigen, sie auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen; wenn er sich seine an der Wand dekorativ platzierten Samurai-Schwerter vorstellte. Und meine Kollegin, die diesen Patienten über mehrere Wochen wegen einer sehr schweren Erkrankung supportiv versorgen musste, hörte sich in einer Sitzung geduldig alles an, was er zu diesem Thema zu sagen hatte. Für den Patienten war es ein guter Tag.
Und meine Kollegin schrieb korrekterweise in ihren Befund: Ressourcenaktualisierung (Messer und Schusswaffen). Damit hatte sie zumindest die Lacher auf ihrer Seite.
Bild ganz oben von Rahul Yadav auf Pixabay
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