Geschichten aus dem Krankenhaus

“Krieg ist die Hölle”

Auf Funk.net (dem hippen Teenie Angebot der öffentlich-rechtlichen Opas ARD und ZDF) findet sich seit dem 22.12.2020 ein Kurzfilmchen namens “Der Pflegerekrut” des Comedians Aurel Mertz, das dieser ankündigt mit “Wer immer mal zur Bundeswehr wollte, aber keine Lust auf Waffen und Co. hat, kann einfach in die Pflege gehen. Ist quasi das Gleiche, nur schlechter bezahlt. Und ohne rechte Netzwerke.”

Die Handlung von “Der Pflegerekrut” ist schnell erzählt: als Parodie auf die Krankenhausserie “Scrubs” und Stanley Kubricks Vietnamfilm “Full Metal Jacket” kommt hier ein junger Pflegeschüler – Aurel Mertz als Aurel Mertz – ins Krankenhaus, um sich von einer Ausbilderin im Drill-Sergeant-Style zur Minna machen zu lassen.

Immer gut gelaunt und freundlich – die Krankenschwester! (Bild von Oberholster Venita auf Pixabay)

“Wir sind im Krieg” brüllt die “Nurse Instructor” durch das Megaphon mit ca. 20cm Absatz in die Gesichter der leicht überrascht wirkenden Pflegeschüler*innen und beschimpft den zu spät kommenden Aurel als “Dornröschen”, weil er “so verschnarcht” sei (im Original ist es der Private Schneewittchen, der vom Sergeant verhöhnt wird).

Trotz der sehr gelungenen Imitation einer großartigen Filmszene ist mir das Lachen recht bald im Hals stecken geblieben. Zu nah an der Wahrheit sind die dargestellten Tatsachen und Sätze:

  • “Niemand interessiert sich dafür, ob ihr Pausen macht, genug esst oder eure Miete bezahlen könnt.”
  • “Ihr werdet Schlafmangel und langen Nachtdiensten ausgesetzt sein.”
  • “Hier herrscht Kostendruck.”

Nach nunmehr über 20 Jahren Tätigkeit im Krankenhaus (davon immerhin fünf Jahre in der Pflege während des Medizinstudiums) muss ich bestätigen: exakt so ist es.

Pflegepersonal arbeitet im Dreischichtsystem (früh, spät, nachts) und hat (mindestens) jedes zweite Wochenende Dienst. Immer. Das ganze Berufsleben lang. Damit wird es schon schwer so banale Dinge zu planen, wie einen regelmäßigen Sportkurs, eine Kegelrunde oder regelmäßig freitags das Feierabendbier.

Überstunden machen gehört im Krankenhaus für pflegerisches (und ärztliches) Personal zum guten Ton. Stationen sind chronisch unterbesetzt; wenn eine*r fehlt, muss jemand anderes einspringen, oft innerhalb von wenigen Stunden (Anruf am Vormittag: “Kannst Du heute Nachtdienst machen?”).

Ostern, langes Wochenende, Weihnachtsfeiertage haben für diese Menschen eine eher untergeordnete Bedeutung, denn die, die auf Station (an der Front – um im Bild zu bleiben) arbeiten, kennen keine langen Wochenenden oder Freizeit an gesetzlichen Feiertagen. Die Krankheiten machen halt auch keine Ferien.

Nicht nur im Krieg ein “War job”: Pflege. (Bild von Oberholster Venita auf Pixabay)

Das Verständnis krankenhausfremder Menschen hält sich dabei in Grenzen: Ich erinnere eine Streitszene mit einer ehemaligen Nachbarin, die es unmöglich fand, dass ich sonntags meine Wäsche waschen wollte (das war damals wirklich verboten!), und die ich im Verlauf des Streits dezent darauf hinweisen musste, dass sie wohl auch nichts dagegen hätte, dass ich sonntags auf der Intensivstation oder im Rettungsdienst arbeite.

Jens Spahn hatte (in den goldenen prä-Corona-Zeiten) noch selbstgefällig schwadroniert, dass es die Pflege selber schuld sei, wenn zu wenig Nachwuchs komme – denn Pflegende redeten immer so schlecht über ihren Beruf.

Der Grund für den Nachwuchsmangel dürfte man wohl eher in den miserablen Arbeitsbedingungen finden. Und natürlich in der unterdurchschnittlichen Vergütung.

Aurel fragt im Video naiv und trotz allem noch unverwüstlich optimistisch nach seinem Gehalt. Daraufhin lacht die Ausbilderin irre und antwortet: “Kannst ja schon mal überlegen, was Du Dir von all dem Applaus kaufen willst.”

Das alles gilt für das Gesundheitssystem im Normalzustand. Zu Coronazeiten stellt sich die Lage nochmal ungleich angespannter dar, weil Personal in Quarantäne muss und die Arbeitsbelastung noch weiter steigt.

Insofern ist das Video inhaltlich richtig, aber leider nicht lustig. Eine Parodie gewinnt ihren Witz aus der Überzeichnung der Wirklichkeit, die hier jedoch (leider) recht treffend abgebildet ist. Gut, sie benutzen keine Megaphone im Krankenhaus. Aber nicht mal der kasernenhofartige Tonfall ist sonderlich überzogen.

Eine deutlichere Verstörung hätte man auslösen können, wenn eine weitere Szene aus “Full Metal Jacket” Eingang gefunden hätte: Bei einem Helikopterflug lernt der Protagonist Private Joker einen durchgeknallten Soldaten kennen, der wahllos Vietnames*innen, auch Frauen und Kinder abknallt (“Man muss nur weniger weit vorhalten.”). Der Soldat kommentiert seine eigene moralische und menschliche Perversion lapidar mit “Krieg ist die Hölle”, während er wie wahnsinnig mit dem MG rumballert.

Auch im übertragenen Fall des Pflegerekruten hätte es Möglichkeiten gegeben, die Entmenschlichung, die mit der zunehmenden Durchkapitalisierung und Entfremdung von der Arbeit einhergeht, darzustellen. Ich überlasse die konkrete Ausgestaltung der dunklen Phantasie der Leser*innen.

Das wäre dann auch nicht witzig gewesen. Aber vielleicht durch die zusätzliche Realitätsferne weniger schmerzhaft.

Bild oben von: OpenClipart-vectors auf Pixabay

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